What are you token about?

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Krypto! Der Tech-Trend beginnt, Wirtschaft, Finanzbranche und Marketing zu transformieren. Dennoch ist er für Viele noch ein Buch mit sieben Siegeln. Dabei bergen NFTs, Web3-Ökosysteme und Co. für Brands und Unternehmen immense Chancen – wenn man eine vernünftige Strategie verfolgt.

Kaum eine Woche vergeht mittlerweile ohne Nachricht aus dem Krypto-Universum: Freude und Bekannte investieren in Kryptowährungen, das Time Magazine veröffentlicht seine erste digitale Ausgabe, die auf einer Blockchain erscheint und hebt sogleich den Schöpfer des Ethereum-Netzwerkes, Vitalik Buterin, auf den Titel.

Der Hollywood-Schauspieler Matt Damon macht derweil Werbung für die Börse crypto.com. Zwei Spielstätten von NBA-Vereinen werden nach Krypto-Unternehmen umbenannt. Große Marken wie Adidas geben eine neue Runde „NFTs“ aus, sogenannte „nicht fungible Tokens“. Schon beim ersten „Drop“ des Sportartikelherstellers wurden über 30.000 NFTs innerhalb kürzester Zeit verkauft.

Überall klingen neue Buzzwords an, Unternehmen schütteln virtuelle Initiativen aus dem Ärmel. NFTs bald auf Instagram? Klar, so Mark Zuckerberg. Ist das alles mehr als nur ein Hype? Ja, sagt der Marketing-Chef von Porsche, Robert Ader, und ist fest davon überzeugt, „dass NFTs mittelfristig ein wesentlicher Geschäftszweig“ für den Autohersteller werden können. Und Howard Schultz, der Interims-CEO von Starbucks schwört Mitarbeitende des Kaffeehauses auf die Möglichkeiten des Krypto-Geschäfts ein und deutet bereits an, die Zukunft des Unternehmens „neu zu erfinden“.

Wie diese Zukunft genau aussehen soll, darüber treffen die Befragten meist nur vage Aussagen. Momentan, so scheint es, möchte jeder einfach erstmal auf den Zug aufspringen, ohne genau zu wissen, wohin er fährt. Und eins bleibt unbestritten: zahlreiche Programmier-Talente, jede Menge Investorengeld und viel Aufmerksamkeit wandern seit Jahren in die Krypto-Welt, wie der Technologiekolumnist Kevin Roose bilanziert. Deshalb gewinnt der Hype ökonomisch wie auch kulturell immer mehr an Einfluss.

Don’t throw the dice if you can’t pay the price

Für Viele, die sich dem Thema mit Skepsis nähern, spricht es für einen Hype, dass etliche Unternehmungen derzeit schneller wieder vom Krypto-Zug abspringen, als man NFT buchstabieren kann. Nachdem sie etwa festgestellt haben, dass ihre Nutzer:innen nicht nur kein Interesse am Verkauf von NFTs haben, sondern diese Innovationen sogar explizit ablehnen und es zu starken Gegenreaktionen auf neue Angebote kam.

Unzählige Videospielprojekte, Marken wie MeUndies, Musiker wie die Gorillaz und die World Wildlife Foundation sind nur einige Beispiele dafür, wie häufig NFT-Projekte bereits kurz nach ihrer Ankündigung abgebrochen werden.

Das liegt aber nicht daran, dass sie Technologie nicht reif ist für den Markt – sondern umgekehrt. Der Einstieg in Krypto ist auch keine Einbahnstraße, keine Alles-oder-Nichts-Entscheidung, sondern ein Prozess, bei dem alle Teilnehmenden nicht auf das schnelle Geld, sondern die langfristige strategische Entwicklung achten und die Vor- und Nachteile kennenlernen sollten. Mit blindem Aktionismus verbrennt man sich die Finger, viele Trends deutlich kleinerer Größenordnung haben das in der Vergangenheit schon bewiesen.

Unternehmungen brauchen eine nachhaltige Strategie, was sie tokenisieren wollen und wie das zur Marke passt, damit sie nicht im Hype des gigantischen Krypto-Universum untergehen, sondern einen werthaltigen Unterschied machen.

What are you token about?

Ok, also womit haben wir es da eigentlich genau zu tun? Wo liegt das Potential von „Krypto“? Fangen wir von vorne an: Vor etwa zwei Jahrzehnten wurde das Wort noch als Abkürzung für Kryptografie verwendet. In den letzten Jahren wurde es zunehmend mit Kryptowährungen wie Bitcoin in Verbindung gebracht. Heutzutage bezieht sich der Sammelbegriff „Krypto“ auf den gesamten Kosmos der Technologien, die auf einer Blockchain beruhen.

Ohne jetzt zu techy zu werden: Blockchains ermöglichen eine verschlüsselte, dezentrale und fortlaufende Buchhaltung. Die Art der Verschlüsselung erhöht maßgeblich die Sicherheit, die Dezentralisierung ermöglicht die verteilte Kontrolle, die lückenlose Buchhaltung macht Vorgänge transparent – und damit rückverfolgbar.

Der Aufstieg zur Token Economy

Eine entscheidende Einheit dabei ist der „Token“, der mit anderen Teilnehmenden einer Blockchain getauscht und gehandelt werden kann. Ein Token steht genaugenommen nicht für eine digitale Datei, die von einem Gerät zum anderen gesendet wird. Vielmehr handelt es sich um einen Eintrag in Hauptbuch, der zu einer Blockchain-Adresse gehört. Eine kleine Notiz, ein Codeschnipsel – nichts weiter. Aber solche Einträge haben das Zeug, die Art und Weise unseres Wirtschaftens massiv und nachhaltig zu verändern.

Denn ein Token kann Rechte zur Mitbestimmung beschreiben, wie etwa ein sogenannter „Governance-Token“. Ein Token kann Zugang gewähren, etwa als Konzertkarte oder als Gutschein fungieren. So machte Adidas in seiner App Confirmed davon Gebrauch: Hier berechtigten Token zum Kauf realer Produkte und zur Teilnahme an Offline Markenevents. Und letztlich kann ein Token Besitz bezeugen, wie im Falle eines „nicht fungiblen Tokens“ (NFT) – und somit einen digitalen Vermögenswert erschaffen.

Das hat zwei Auswirkungen. Erstens: Digitale Güter gewinnen wie analoge Waren in der realen Welt an Raritätswert. Bisher funktionierte das Internet ja eher wie eine gigantische Kopiermaschine. Jede digitale Datei konnte unendlich oft vervielfältigt werden. NFTs schaffen Abhilfe: Zwar können die Grafiken, Videos oder Audiodateien, die in ein NFT umgewandelt werden, immer noch im Internet kopiert werden, aber der Besitzer ist in der Blockchain eindeutig protokolliert. NFTs ermöglichen es, ein nicht kopierbares digitales Asset zu erstellen, eine Art Echtheitszertifikat, das mit einer dazugehörigen Datei verknüpft ist.

Zweitens: Alles, was eine Person oder ein Unternehmen besitzt, kann theoretisch als nicht-fungibler Token dargestellt, gehandelt genutzt, und am Ende „tokenisiert“ werden. Tokenisierung beschreibt den Prozess, bei dem ein materielles oder immaterielles Gut digital durch einen Token repräsentiert wird. So können Kunstwerke in Token umgewandelt werden, aber auch Lizenzgebühren. NFTs bieten Marken dieMöglichkeit, den bisher nur abstrakt erhobenen Markenwert zu monetarisieren.

Bislang werden die Möglichkeiten bei Weitem nicht ausgeschöpft. Sammelbilder und Illustrationen von gelangweilten Affen dominieren noch das Bild der aufstrebenden Szene. Aber so ist das halt: In der Geburtsstunde neuer Technologien werden oft ganz einfach der Zeitgeist und ihr State-of-the-art-Charakter als Unique Selling Points verkauft. Das wird sich legen. Mit der Zeit werden andere Eigenschaften hervortreten, die die Werthaltigkeit von NFTs belegen. Solche, die mehr auf Qualität und Nutzen ausgelegt sind. Die Möglichkeiten werden wachsen – und man wird sie honorieren.

Web3 – das Internet digitaler Assets

NFTs beflügeln schließlich schon jetzt die Fantasie vieler Menschen. Immerhin stehen wir gerade an der Schwelle eines Internets digitaler Vermögenswerte. „Ein Internet […] orchestriert mit Token“, wie der Investor Packy McCormick es einmal beschrieb.

Viele Geschäftsmodelle werden gerade getestet, die auf dezentralen Blockchains beruhen und neuartige Anwendungen ermöglichen. Dafür hat sich der Begriff Web3 eingebürgert, der für eine neue Phase des Internets stehen soll.

Ein kurzer Rückblick: Web1 meinte noch das Internet der Neunziger Jahre bis kurz nach der Jahrtausendwende. Ein Internet der Blogs, Messageboards und frühen Portale wie AOL und CompuServe. Hier lasen die Menschen passive irgendwelche statischen Webseiten, die überwiegend mit „offenen Protokollen“ wie HTTP, SMTP und FTP aufgebaut wurden.

Mit dem Web2 wurde circa im Jahr 2005 dann die nächste Phase des Internets eingeläutet, die durch soziale Medien wie Facebook, Twitter und YouTube gekennzeichnet war. Im Web2 wandelte sich das Verhältnis zwischen Produzent und Konsument. Der User konnte zum Content Creator aufsteigen, eigene Inhalte erstellen und sich aktiv am Internet beteiligen, anstatt es nur passiv zu konsumieren. Die meisten dieser Aktivitäten wurden jedoch allein von großen Unternehmen über Targeted Advertising und die Nutzung von persönlichen Daten monetarisiert, ohne dabei wirklich Geld oder Kontrolle an die User abzugeben.

Hier will das Web3 ansetzen. Zentralisierte Unternehmensplattformen sollen durch dezentralisierte Netzwerke ersetzt werden. Die direkte Bindung zählt, Zwischenhändler werden abgeschafft. Jede Person kann zum Creator aufsteigen und über die Weitergabe von Daten entscheiden. Jede Transaktion wird transparent dokumentiert. So bilden sich derzeit Web3-Anwendungen heraus, die graduell auf diesen Prinzipien aufbauen.

Die erste Generation von Web3-Anwendungen

SOUND ist etwa eine Musik-Plattform, die zu Listening Sessions einlädt. Artists können hier direkt ihre Musik für die Top-1%-Superfans „debütieren“ lassen.

Own the moment, heißt das Prinzip, das für viele Marken gangbar werden könnte, die Erlebnisse für frühe oder loyale User anbieten wollen. Bei SOUND können Fans ihre Musik zuerst hören und besitzen eins der „Debüt-NFTs“, mit dem sie das Hörerlebnis kommentieren können.

STEPN erlaubt es Usern, ganz einfach durch Spazierengehen oder Joggen ein Zusatzeinkommen zu generieren. Die dezentralisierte App (kurz: DApp) belohnt jede Bewegung im Freien mit einem eigenen Token, der etwa für digitale Sneaker oder auch gegen andere Krypto-Währungen eingetauscht werden kann. Eine ähnliche Idee verfolgt BikeRush für die Fortbewegung mit dem Fahrrad. Move-To-Earn heißt das Modell, das auf einem gamifizierten Ansatz mit Datenspenden beruht.

Ein anderes Anwendungsfeld ist die Tokenisierung von Vermögenswerten in kleinere Einheiten, was eine Menge an Papierkram erspart. Im Immobiliensektor ist diese Praxis bereits verbreitet. Einige Unternehmen wie Finexity aus Hamburg offerieren aber auch ganz andere Möglichkeiten, wie zum Beispiel die Beteiligung an vollständig verwalteten, exklusiven Sachwerten wie Kunst, Fine Wine, Classic Cars und Diamanten.

Die bislang größte Hürde bei Weininvestitionen war die Angst vor Fälschungen und Substitutionen. Abhilfe schafft die Gewissheit, dass edle Weine direkt von den Erzeuger:innen an ein Zolllager geliefert werden, und zwar mit lückenloser Rückverfolgbarkeit. Blockchain-Token ermöglichen genau eine solche Transparenz für die gesamte Lieferkette, pushen so das Vertrauen und optimieren die Handelbarkeit des Gutes bis auf den kleinsten Schluck.

Eine neue Ära auch für den Purpose

Krypto ermöglicht eine direkte, dezentrale Bindung zwischen Marke und User ohne Zwischenplattform. Das ist revolutionär. Aber das erfordert eben auch eine andere, eine neue Form der Kommunikation und Mitbestimmung – und ist auch eine Frage der Kompetenz. Krypto ermöglicht die Tokenisierung von Werten. Das macht eine Auseinandersetzung nötig, darüber, welche Werte eine Marke überhaupt schafft und welchen Impact man verstärken möchte.

„Token sind für das Web3 das, was Websites für das Web1 waren“, schreibt Shermin Voshmgir in ihrem Buch „Token Economy“. Sie sind konzentrierte Wertespeicher und repräsentieren im Grunde genommen im ganz Kleinen, wofür eine Brand im Großen und Ganzen stehen kann. Tokens können Besitz oder Mitbestimmung darstellen, zum Konsum trommeln, aber auch einem kollektiven Purpose folgen wie etwa Aerth, das Wissen über die Erde sammelt, oder SolarCoin, das Solar-Energie mit einem Token incentiviert.

Der Wermutstropfen

Bedauerlicherweise sind all diese verheißungsvollen Entwicklungen bislang mit einem riesigen Energieaufwand verbunden. Eine einzige Bitcoin-Transaktion verbraucht allein so viel Energie wie ein durchschnittlicher US-amerikanischer Haushalt in 75 Tagen, eine einzige Ethereum-Transaktion schafft es immer noch auf knapp 9 Tage.

Für Unternehmen, die auf ein nachhaltiges Wirtschaften setzen, ist das kaum zu vertreten. Da hilft auch der Hinweis nicht, dass in Zukunft ein Großteil der aufgewendeten Energie aus nicht-fossilen Trägern stammen „könnte“. Schnell mal eben ein oder zwei NFTs droppen ist da einfach nicht drin.

Man kann aber zumindest zuversichtlich sein, dass die neuen Technologien von einer investitionsfreudigen Anhängerschaft getragen werden und noch viel innovativer Spirit in ihren Fortschritt fließen wird, um auch diese Schwächen zu eliminieren.

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